Ausstellung vom 26. September bis 06. Oktober 2019
Öffnungszeiten: täglich 12-20 Uhr (bei Veranstaltungen bis 22 Uhr).
Ort: Studio 1 / Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
Werkstattgespräch / Führung durch die Ausstellung: Dienstag, 01.Oktober, 18 Uhr
Finissage: Sonntag, 06.Oktober, 18 Uhr, Tanzperformance: Die Tenzer
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Notizen zu Transition
Auf den ersten Blick erscheint der Begriff recht klar definiert: Transition steht für Wandel, Übergang von einem Punkt, Zustand, Zeitraum zum anderen. Doch diese vermeintliche Eindeutigkeit kann sich auch zu einer beinahe unbehaglichen Ambivalenz entfalten, ist doch eben die Spanne zwischen zwei mehr oder weniger festgelegten Punkten oder Abschnitten weder in ihrer Länge noch in ihrer Intensität, Substanz, Struktur oder gar Richtung explizit greifbar.
In der Literatur und den darstellenden Künsten benennt Transition Überleitungen zwischen Ereignissen, Klängen, Zuständen – einem Ausgangspunkt und einem Ziel. Im Kontext der Naturwissenschaften wird der Begriff mit sich verändernden Aggregatzuständen, Krankheitsverläufen, Entwicklung, dem Wandel der menschlichen Konstitution im Prozess des Alterns und Sterbens in Verbindung gebracht. Auch die Phase des Umbruchs zwischen Regierungen, Regierungssystemen oder auch geschichtlichen Epochen wird mitunter als Transition bezeichnet.
Auf dem Weg von einem in sich ruhenden Zustand zu einem anderen mag Unruhe liegen, sogar Chaos. In dieser Phase ist alles ungewiss, unfertig, noch formbar. Allen Transitionen ist gemeinsam, dass sie sich progressiv in der Zeit bewegen – Transition ist immer auch der Weg von der Vergangenheit zur Zukunft. Die kleinste Wegeinheit von einem Moment zum nächsten, das Jetzt, ist letztlich nicht messbar.
Mit dem Konzept des Jetzt setzt sich die Philosophie schon seit der Antike auseinander, und eine einvernehmliche Antwort gibt es dazu bis heute nicht. “Ansätze, das punktartige Jetzt zu definieren und zu erklären”, schreibt Literatur Professor Michael North, “richten gezielten Fokus auf einige der zermürbendsten Fragen über das Jetzt im Grundsätzlichen. Ist es ein Bestandteil der Zeit oder unterteilt es sie? Wenn es ein Teil der Zeit ist, wieviel Zeit umfasst es? Wenn es eine Unterteilung der Zeit ist, wie kann es dann überhaupt irgend etwas (…) enthalten?”
Das Problem des “Punktartigen” ist der Fotografie nicht fremd. Hier könnte man fragen: Fragmentiert eine Fotografie die Zeit, hält sie einen Teil von ihr fest, oder umfasst sie einen Zeitraum? Ist eine Fotografie, eine Momentaufnahme, in der Lage, das Wesen von Transition als einem progressiven Übergang von Zustand zu Zustand, Zeitpunkt zu Zeitpunkt zu erfassen?
Susan Sontag schreibt dazu: “Jede Fotografie ist eine Art memento mori. Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen (oder Dinge). Eben dadurch, dass sie diesen einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit”. Damit bietet sie einen Kompromiss zwischen dem Erstarrten, “Punktartigen” einer Fotografie und dem unaufhaltsamen Fortschreiten der Zeit, das durch die Fotografie wahrnehmbar gemacht wird.
Dieses Bild der Fotografie als Zeitfragment, das Heraus-Sezieren einer Zeitscheibe, die durch ihr Erstarren zum Sinnbild der Vergänglichkeit wird, wirft zugleich weitere Fragen auf: Wie dick ist die Scheibe? Was beinhaltet sie?
Aus diesem Blickwinkel heraus bekommt Transition etwas ganz Unnahbares, Mystisches und Faszinierendes.
Bereits der fotografische Aufnahmeprozess besteht aus einer Reihe von sich überlagernden Transitionen. Zunächst rein physischer Natur: Das Sujet wird mittels Licht durch eine Linse (zumeist) zu seiner Abbildung auf dem jeweiligen Aufnahmematerial gewandelt. Von dort aus wird weiter verarbeitet, bearbeitet, modelliert bis hin zum fertigen Bild. Die Transformation von etwas im weitesten Sinne Realen zur Kunst verästelt sich mal mehr, mal weniger stark zu einer ganz eigenen Komposition von Transitionen: Weglassen, Hinzufügen, Stapeln, Schichten, Gegenüberstellen, eine ganze Abfolge von Entscheidungen praktischer, ästhetischer und emotionaler Natur, die im fertigen Werk enthalten sind, seine Essenz bilden, es ausmachen.
Von dem Moment an, in dem der Betrachter mit dem Werk konfrontiert ist und seine eigenen Erfahrungen und Emotionen einbringt, vollzieht sich eine weitere Transition. Victor Burgin beschreibt das Kunstwerk, die Fotografie als einen Werkraum. “…ein Arbeitsplatz, ein strukturierter und strukturierender Raum, innerhalb dessen sich der Betrachter positioniert und sich positionieren lässt lässt von solchen Codes, die ihm oder ihr vertraut sind, um begreifen zu können.” An dieser Stelle wird das Bild zu einem vielschichtigen, diffusen Wesen, zu Transition selbst. Es ist einem ständigen Wandel ausgeliefert, durch Betrachtung, Interpretation, seiner Wirkung und Wechselwirkung am Ausstellungsort, aber auch durch seine physische Veränderung im Lauf der Zeit. Die Wahrnehmung des Bildes verändert sich durch einen mit der Zeit modifizierten Kontext. Dabei beeinflusst die Transition der Zeit nicht so sehr das Bild an sich, sondern seine emotionale Empfindung abhängig von dem neuen Kontext, den die Zeit ihm gegeben haben mag.
Ein Projekt ausschließlich der Transition zu widmen, bedeutet, sich ganz auf das Ungewisse einzulassen, die Fixpunkte außer Acht zu lassen und das Ungreifbare greifen und festhalten zu wollen.
Wie auf einem mystischen Nebenschauplatz, an dem sich Entwicklung und Wandel vollzieht, konzentriert sich der Fokus auf den Übergang allein, auf die Essenz des Spannungsbogens, von der Ruhe über das Chaos zurück zur Ruhe, oder von Wohlklang über Missklang, der sich kurz vor dem Unerträglichen wieder zu Harmonie auflöst. In der Transition liegt die Magie.
Christine B. Bosse