Teilnemer_innen
Katrin Eckert, Ruth Grothe, Renate Hagen, eca-maria heise, anne k., Birgit Nitsch, Berit Rehmer, Katja Stoye-Cetin unf Irina Voigt. Leitung Thomas Michalak
Einleitung
Orte sind bedeutsam für unsere Orientierung in der Welt. Gezielt suchen wir bestimmte Orte auf, zur Erholung, zum Nachdenken, zum Feiern, um uns zu erinnern oder um alleine zu sein. Mit Orten verbinden wir Vertrauen, Geborgenheit oder auch Unruhe und Furcht.
Solange unsere Existenz an einen materiellen Körper gebunden ist, befinden wir uns in einem räumlichen Gefüge. Verbinden wir den Raum und die darin befindliche Materie mit Bedeutung, sprechen wir von einem Ort. (Oder einem Unort, ein Wort, das nichts wesentlich anderes als die Schwierigkeit oder Unlust, sich mit dem gemeinten Raum in Beziehung zu setzen, umschreibt.) Der Begriff „Aura“ ist dabei etwas aus der Mode gekommen, wohl, weil wir nicht recht feststellen können, was der Materie an Geistigem eingeschrieben sein mag, was davon wir selbst jeweils – von Erwartung und Vorerfahrung gelenkt – projizieren. Historiker und Museologen vertreten heute allerdings meist die Auffassung, dass „Aura“ beides meint. Sie stellt einen Kommunikationskanal zwischen kollektivem und individuellem Vorwissen und Erfahren, her indem sie es an Orte, Dinge und Bilder bindet. Dieser ständige Austausch, der individuelle und kollektive Geschichte möglich macht, indem er dem Faktenwissen ein Gefäß für Erfahrungen zur Seite stellt, ist ein gleichwohl wahrnehmender als auch kreativ projektiver Akt. Bedeutungen werden immer wieder ergänzt, verändert, den Erfordernissen des Alltags angepasst. Das Bild-Schaffen ist dabei ganz nah dem Sehen, der Orientierung.
Ein starke Erleben von „Aura“ war der Auslöser, mich in meinen Kursen mit „Orten“ zu beschäftigen. Im Rahmen einer Auftragsarbeit hatte ich die KZ Gedenkstätte Buchenwald besucht. Es war Abend und ich war allein. Ich war diesem Geschehen, trotz vieler Bücher und Unterricht nie zuvor so nahe gewesen. Die Vorstellung, dass einzelne Steine, vielleicht sogar Pflanzen, Zeugen dieser furchtbaren Gewalt gewesen sein konnten ergriff mich. Mussten die Energien von Leben und Leid so vieler Menschen nicht Spuren in der Materie hinterlassen haben? Unsichtbare meist, gewiss. Aber konnte ich sie durch meine Arbeit mit der Kamera nicht ahnbar werden lassen? Einem einwöchigen Workshop in Sachsenhausen folgte ein drei-semestriger Hauptkurs. Dabei war neben der Möglichkeit sich intensiv mit einem bestimmten Ort oder einer Gruppe sehr ähnlich strukturierter Orte zu beschäftigen, freigestellt, sich prinzipiellen Fragen zu stellen.
Nicht alle, die vor einem Jahr die Arbeit begannen, haben bis zu diesem Punkt durchgehalten. Die Anstrengungen einer nebenberuflichen Ausbildung, gerade wenn sie ein großes Maß persönlicher Auseinandersetzung fordert, wie es in der Natur einer künstlerischen Ausbildung liegt, sind sehr hoch. Ich möchte daher an dieser Stelle auch all jenen von Herzen danken, die die eine oder andere Zeit an dem Kurs teilgenommen, die Arbeit durch ihre Bild- und Wortbeiträge bereichert haben und deren Namen jetzt nicht zu lesen sind.
Katrin Eckert widmet sich der „Privatisierung“ öffentlichen Raumes. Sie geht dem Phänomen nach, wie wenige private Gegenstände, eine Decke, eine Brille, ein Buch, „gläserne Wände“ auf einer Sommerwiese erzeugen, einen Raum schaffen, in dem sich wieder ungeniert verhalten wird. In ihrer zweiten Arbeit zeigt Katrin Eckert Eingangssituationen vor Wohnungstüren in Berliner Mietshäusern. Der genormten baulichen Situation wuchert aus den Wohnungen Privates entgegen, dringt durch die Eingangstür und besetzt noch etwas vom Treppenhaus. Die Bewohner schaffen einen Übergangsbereich zwischen ihrem eigenen Innenraum und der Außenwelt, der dem Fremden das Ankommen und dem Bewohner das Verlassen des Bekannten erleichtert. Eine Funktion, die in großzügigerem Wohnungbau die Diele oder ein Empfangsraum übernimmt. Katrin Eckert, die ausgebildete Architektin ist, dokumentiert so einen funktionalen Mangel modernen Wohnungsbaus und den kreativen Umgang damit.
Ruth Grothe beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Räumen, die zwar allem Anschein nach zum privaten Gebrauch eingerichtet sind – es gibt Bänke, Abfallbehälter, Bäume, einen Weg oder eine Tür – sich dem längerem Verweilen jedoch entziehen. Orte des Transfers, des „Vorübergehens“. Cleane Orte, die Projektionen nicht zulassen, an denen jeder Versuch ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, sie an persönliche oder kollektive Erfahrungen zu binden scheitert. Ruth Grothe hat „Zwischenräume“ in der Mitte des neu entstehenden Berlins fotografiert. Dabei handelt es sich durchaus um privaten Grund und Boden, dessen Durchquerung von den Bestimmungen einer Hausordnung geregelt, deren Einhaltung von privaten Sicherheitskräften durchgesetzt werden kann. Diese Plätze sehen in allen Metropolen der Welt gleich aus. Sie wollen selbst genauso wenig einzigartig und wiedererkennbar sein, wie sie länger als für den Moment eines Transits Aufenthalt bieten wollen. Die Orte, die Ruth Grothe mit der Kamera aufgesucht hat, sind weder hübsch noch hässlich, weder hell noch dunkel, nicht gut noch schlecht, hier gibt es keine Furcht, aber auch kein Lachen. Sie entziehen sich einfach. Wie ihre Erschaffer bleiben diese Orte eigentlich unsichtbar.
Wer es jemals durchgehalten hat, über einen längeren Zeitraum zu joggen, weiß, wie sich der wahrnehmbare Raum verändert, wenn die Atmung erst einmal in ruhigem Rythmus mitgeht. Das Blickfeld erweitert sich, verwischt an den Seiten. Der Läufer ist in einem eigenen Raum/Zeit-Kontinuum angekommen. Manche Läufer nennen diesen Zustand meditativ. Wie in den Übungen des Zen Buddhismus lassen sie die äußere Welt (die Gedanken) einfach vorüberziehen. Renate Hagen hat diese Erfahrung in eine Reihe von Bildern umgesetzt, die das Vorbeiziehen, die Geschwindigkeit erlebbar werden lässt. Der Ort, den Renate Hagen beschreibt, ist einer, den der Läufer selbst erschafft, der flüchtig ist und der sich langsam auflöst, wenn er zum Stehen kommt. Eine zweite Werkgruppe zeigt Wasser, dass sich unter Herbstlaub und Blaualgenschleier fast nicht zu bewegen scheint. Das Element, dem man sonst eher dynamische Qualitäten zuschreibt (ebenso wie man Bäume am Wegrand eher als feststehend zu betrachten gewohnt ist) bildet hier den Gegenpol zur Bewegung. Der Blick kommt zur Ruhe. Die helle Farbigkeit in Renate Hagens Bildern strahlt eine friedliche Stimmung aus und so kann Fotografie hier sein, was sie gerne ist: Verführerin, anregend und daran erinnernd, dass Raum und Zeit nicht so fix und unserem Handeln unzugänglich sind, wie wir es oft annehmen.
Den Ausgangspunkt ihrer Arbeit kennzeichnet eva-maria heise deutlich in ihrem Text: das Straßenpflaster vor ihrem Balkon. Von oben gesehen wird die feste Verankerung in den Straßengrund deutlich. Zu jeder Jahreszeit liegt es da. Unverrückbar. Ordnung und Sicherheit versprechend. Von fremden Händen gefügt. Doch dann beginnt ein Abenteuer, von dessen Einzelheiten wir wenig wissen. In den „Mosaiken“ löst sich die scheinbar unumstößliche Reihung der Steine auf. Nicht so fest gefügt, nicht konsistent in den Grenzbereichen, nicht lückenlos ordnen sich die Teile an, aber mit äußerer Form. Jeweils achtzehn „Steine“ bilden ein Tableau. Ein Rechteck, das nicht mehr fotografischer Ausschnitt ist, sondern für das ganze steht. Die neue Ordnung, die eva-maria heise geschaffen hat, trägt eine Handschrift, ist persönlich. Unikat. Und sie transportiert eine andere Art von Festigkeit. Weniger starr und dennoch haltbar. Holzhaltiges Papier. Klebstoff. Sie nutzt die gegebene Struktur des Pflasters, die quaderförmige Gestalt des Steines, als Raster für die Transformation. Aber sie fugt die neuen Quader nicht, läßt ihnen Luft. Anders als beim Puzzle, wo jedes Teil seinen definierten Platz hat, sind hier auch andere Lösungen denkbar. Der kreative Zugriff macht das Erstarrte der Veränderung zugänglich. eva-maria heise hat die schwindelerregende Aufsicht in den Ausgangsbildern in ein mit Quer- und Längsstreben durchsetztes tragendes Gewebe -ver-wandelt.
Als Metapher für einen Ort an den man nicht gelangen kann, wählt anne k. das leuchtende Himmelblau. Jene Farbe, die wie keine andere für Freiheit, Wohlbefinden aber auch Sehnsucht, Auflösung und Wahnsinn steht. „Die Ferne ist ein schöner Ort und wenn ich da bin ist sie fort“ zitiert sie die ostdeutsche Band Silly. Eine Erfahrung, die jeder macht, der sich auf die Reise begibt und dem nicht das Träumen selbst schon zum Zweck geworden ist. Es ist die Spannung zwischen dem, was bereits ist und dem was sein kann. Und die Erfahrung, dass Erreichtes immer anders schmeckt als Ersehntes. Individuell oder auch gesellschaftlich. Auf diesen kleinen, nicht fokussierten Bildern gibt es immer einen schmalen Streifen am unteren Rand, der auf eine Verortung, einen Standort, das Jetzt verweist. Der tatsächliche reale Inhalt dieser Verortung wird durch die Unschärfe weniger wichtig als die Tatsache seines Vorhandenseins. Von hier geht es los. Und dann ist da der ganze große blaue Raum, das Verlockende, Ungreifbare, Ferne. anne k.‘s Bilder verlieren aber nie den Halt, tauchen nie ganz ein, sind sich der Gefahr der Farbe sehr bewusst. Dass die Reihe keine lineare Entwicklung zeigt, ist konsequent. Es ist das Prinzip der Utopie, dass sie nicht erreicht wird. Vielmehr ist der Umfang der Reihe, die man sich getrost in die hunderte Bilder weiterdenken kann, entscheidend. anne k. behauptet den Sinn dieser Art durchs Leben zu reisen. Dass das erreichte Ziel wieder verfügbar wird – auch das eine Implikation der Unschärfe – bedeutet Freiheit und ist Garant von Entwicklung.
Die Verbindung zwischen Orten ist auch Thema bei Birgit Nitsch. Allerdings nimmt sie den Weg konkreter als Zwischenraum, Freiraum, zeitlich wie örtlich. Wenn die Orte täglichen Aufenthaltes durch mehr oder weniger fremdbestimmte Tätigkeiten bedeutend werden, kann der Weg zum Freiraum werden – für Gedanken, Träume, Selbstreflektion. Diese Lesart wird durch drei Selbsporträts der Künstlerin verstärkt, die in die Reihe eingefügt sind. Nur in einem konfrontiert sie den Blick mit dem des Betrachters, wirkt dabei fast wie aufgestört, in einem anderen sehen wir sie rauchend, leicht von oben fotografiert, die Sicht von außen. Ein farbiges kleineres wechselt die Sicht ohne sich jedoch zu erklären: saftiges grün, rote sinnliche Lippen, der empfindsame Hals, Bewegung… Es irritiert ob seiner Kraft und Verletzlichkeit. Birgit Nitsch zeigt uns Wege aus unterschiedlicher Perspektive, deren vorgegebene und durch viele Benutzer zuvor gefestigte Zielstrebigkeit sie unterscheidet: Einen kaum wahrnehmbaren Trampelpfad und auch einen metallischen Laufsteg, der jedes „vom Wege abkommen“ verbietet. Gemeinsam ist allen eine definierte Richtung. Nur im letzen Bild ist nicht mehr sicher: rechts oder links?
Ihre Fassungslosigkeit vor den in deutschen Konzentrationslagern begangenen Verbrechen vergleicht Berit Rehmer mit dem Versuch, sich ein Bild von der Unendlichkeit zu machen. Seit fast zwei Jahren ist sie immer wieder in Oranienburg gewesen und hat mit der Fotografie einen Zugang gesucht. Fast immer war sie unzufrieden mit den Ergebnissen, die ihrem Gefühlen nicht entsprachen. Es ist schwer, einen eigenen visuellen Zugang zu Orten zu finden, deren Bildwelten so sehr besetzt sind von kollektiven Vorstellungen des Grauens und der Schuld. Schließlich deckt sie mit dem Finger einen Teil der Linse ab und inszeniert so das nicht sehen, nicht begreifen können. Indem sie den Horizont zudunkelt, vereitelt sie auch dem Betrachter das Entrinnen. Es gibt kein Entkommen in bekannte Bild- und Erklärungsmuster. Die schwarze Fläche weist uns immer wieder ins Bild und auf uns selbst zurück. Es gibt nicht viele fotografische Arbeiten, die sich auf eine so ernsthafte und konsequente Art und Weise mit der Erinnerung an diese Zeit auseinander gesetzt haben. Berit Rehmers Arbeit verdient unter den wichtigsten genannt zu werden.
Wer hat, wenn er sich in alten Bauten aufhält, sich nicht schon einmal eine Vorstellung davon gemacht, welche Stimmen diese Wände bereits gehört, welche Gesichter sie über die Jahre schon gesehen haben. Katja Stoye-Çetin interessiert sich für diese energetischen Spuren. Mit einer Kombination aus Langzeit- und Mehrfachbelichtung fand sie in den Unterführungen am Alexanderplatz Bilder, diese Vorstellung auszudrücken.
Ira Voigt, in Moskau geboren, hat über die Hälfte ihres Lebens in Deutschland verbracht. Für die Zeit ihrer Kindheit und Jugend hat sie keine fotografischen Bilder, an denen sie ihre Erinnerungen kristallisieren kann. „Gute und ungute Erinnerungen sind die Basis des Lernens“, schreibt sie, „ein Leben lang […]“ So beginnt sie auf Ihren Reisen als Geologin Bilder zu suchen, die ihren eigenen Erinnerungen entsprechen könnten. Sie fotografiert alte Frauen, die ihre Großmutter, Kinder, die ihre Brüder, Häuser, die ihr Elternhaus oder Dörfer, die ihr Heimatdorf gewesen sein könnten. Sie findet diese Bilder im Osten. Nicht nur in Russland, auch in Polen, der Tschechei und Brandenburg. Und konstruiert so einen Ort namens Heimat.
Danken möchte ich allen, die am Zustandekommen dieser Ausstellung beteiligt waren. Allen voran den Teilnehmern des Kurses selbst, die mit hohem zeitlichem und finanziellen Aufwand ihre Beträge erarbeitet und realisiert haben. Herzlichen Dank auch der VHS-Friedrichshain Kreuzberg, ihrem Direktor Herrn Bernd O. Hölters für die Förderung dieses einmaligen Unterrichtsmodells, dem Fachbereichsleiter Fotografie Herrn Peter Held für seine anhaltende Unterstützung und dafür, dass er uns in vielen organisatorischen Dingen den Rücken für unsere Arbeit freigehalten hat sowie dem Team des Hauses, das unsere kleinen „Depots“ und die ungewöhnlichen Arbeitszeiten leicht genommen hat.
Im Januar 2002, Thomas Michalak
Der Katalog
erschien in einer nummerierten Auflage von 100 Exemplaren und war am Eröffnungsabend ausverkauft. Klick auf das Bild, um den Katalog online durchzublättern…
Link
Archiv der Webseite der Ausstellung auf exhibit.photocentrum.de …